Interview in BILD am SONNTAG, 01.09.2012 

ZDF-CHEFHISTORIKER GEHT IN RENTE 
Wie fühlt man sich, wenn man plötzlich selbst Geschichte ist, Professor Knopp?

01.09.2012, von Helmut Böger

 

"Seit 34 Jahren und in mittlerweile 2000 TV-Sendungen erzählt Professor Dr. Guido Knopp im ZDF Geschichten zur Geschichte. Im Interview mit BILD am SONNTAG zieht er Bilanz, spricht über Liebesbriefe und Drohanrufe von Neonazis. "Was ich gemacht habe, habe ich nie als Arbeit empfunden, sondern immer nur als eine Riesenfreude. Mein Beruf war auch mein Hobby", beschreibt er seine Gefühle vor dem Abschied vom Bildschirm. In fünf Monaten ist Schluss mit der Riesenfreude. Am 29. Januar 2013 wird der Chefhistoriker der Nation 65 Jahre alt und muss nach den Regeln seines Senders in Rente gehen.

BILD am SONNTAG: Was werden Sie am 1. Februar 2013 machen?

GUIDO KNOPP: Dann fliege ich mit meiner Frau Gabriella nach Dubai und gehe an Bord der MS "Deutschland". Dort hatte ich einige Vorlesungen.

 

Hätten Sie gern weitergemacht beim ZDF?

Ich habe all das gemacht, was ich machen wollte. Nun ist gut.

 

Sie werden also in Zukunft Ihre Familie damit nerven, aus Ihrer eigenen Geschichte zu erzählen?

Mit Sicherheit nicht. Ich fühle mich frisch und werde künftig als freier Publizist arbeiten. Als Nächstes erscheinen zwei Bücher über den Ersten und Zweiten Weltkrieg, mit je 100 Fotos, die ich erläutere.

 

Keine Anfragen von Privat-Sendern?

Es gibt verschiedene interessante Angebote. Ich werde darüber aber erst entscheiden, wenn ich pensioniert bin.

 

Wie fühlen Sie sich, bei dem Gedanken, bald selbst Geschichte zu sein?

Ich habe mit meinen Sendungen versucht, den Deutschen zu vermitteln, dass ihre Geschichte nicht nur aus den zwölf Jahren des Dritten Reichs besteht. Das ist mir gelungen, glaube ich. So deute ich meine eigene TV-Geschichte.

 

"Hitler eine Bilanz", "Hitlers Helfer", "Hitlers Krieger" – gefühlt beschäftigten sich die Hälfte Ihrer Sendungen mit dem Dritten Reich und seinem "Führer".

Einspruch! Von den 2000 Sendungen, die ich im ZDF verantwortet habe, handelten maximal 100 von Hitler, also fünf Prozent. Er war nun einmal eine der prägendsten Gestalten des 20. Jahrhunderts, ein Attentäter der Geschichte.

 

"Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein, dessen Magazin bisher 43-mal den Diktator aufs Titelbild gedruckt hat, wird der Satz zugeschrieben "Hitler sells". Hat er recht?

In den 70er, 80er und Anfang der 90er war Augsteins Erkenntnis "Hitler sells" richtig. Doch inzwischen stirbt die Kriegsgeneration weg.

 

Hitler ist auserzählt?

Nein, das ist so nicht richtig. Wenn neue Fakten bekannt werden, wird auch Hitler wieder ein Thema sein.

 

Wissen Sie, von wem der Satz stammt: "Hitler hat das Jahrhundert in die Schranken gewiesen und ist am Ende auf wagnerische Art umgekommen."

Das klingt nach einem britischen Historiker.

 

Das haben Sie 2011 in einem Interview mit BILD am SONNTAG gesagt.

Davon habe ich kein Wort zurückzunehmen. Denn ohne Hitler wäre die Geschichte völlig anders verlaufen. Wäre er Anfang 1939 gestorben, sein Nachfolger Göring hätte keinen Zweiten Weltkrieg angefangen, also hätte es auch keinen Holocaust gegeben.

 

Wären Sie 50 Jahre früher geboren, hätten Sie gern Hitler interviewt?

Sicher hätte ich Hitler interviewt, wenn ich dazu die Gelegenheit gehabt hätte. Das würde doch jeder Journalist tun, der seinen Beruf ernst nimmt.

 

Welche Fragen hätten Sie ihm gestellt?

Erstens: Woher kommt Ihr Judenhass? Zweitens: Würden Sie nicht doch lieber wieder Maler werden?

 

Teilen Sie die Meinung des Historikers Heinrich von Treitschke "Männer machen Geschichte"?

Auf jeden Fall. Nicht anonyme Strukturen entscheiden die Geschichte, sondern Menschen. Nicht nur im Bösen, auch im Guten. Denken Sie an die Jahre 1989 und 1990: Wären nicht Kohl und Genscher und US-Präsident Bush senior auf der einen und Gorbatschow auf der anderen Seite gewesen, hätte es keine Wiedervereinigung gegeben. Wäre Lafontaine damals Kanzler gewesen, gäbe es vielleicht heute noch zwei deutsche Staaten.

 

Welche historischen Persönlichkeiten imponieren Ihnen am meisten?

Konrad Adenauer, der Gründungskanzler der Bundesrepublik, Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg, und Preußenkönig Friedrich der Große.

 

In welchem Jahrhundert hätten Sie gern gelebt?

Im 10. Jahrhundert. Ich hätte 955 gern die Schlacht auf dem Lechfeld als Herold erlebt. Damals kämpften die Deutschen gegen die Ungarn. Noch heute wird gestritten, ob die Ungarn räuberische Horden waren, oder – wie meine aus Ungarn stammende Frau aus ihrer Schulzeit weiß – nur an der friedlichen Erkundung des Westens interessiert. Schriftliche Quellen gibt es nicht.

 

Bei einer Straßenumfrage nach dem bekanntesten Historiker der Bundesrepublik, würde wohl Ihr Name am häufigsten genannt. Schmeichelt das Ihrer Eitelkeit?

Jeder, der in den Medien arbeitet, sollte so eitel sein, dass er sein Bestmögliches gibt.

 

Andererseits wird Ihre Arbeit von einigen Universitäts-Historikern kritisiert ...

Mitleid bekommt man umsonst, Neid muss man sich verdienen.

 

Das sagen Sie seit Jahren. Haben Sie auch eine ernsthafte Antwort?

Einige Lehrstuhlinhaber fürchten wohl um ihre Deutungshoheit. Doch wenn wir fürs ZDF Experten-Rat benötigten, waren die meisten Historiker mit Feuereifer dabei.

 

Aus welchem Grund sind Sie Historiker geworden?

Mein Geschichtslehrer am Aschaffenburger Gymnasium, Dr. Lothar Häusler, ist schuld daran, dass ich Geschichte studiert habe. Er hat einen so interessanten Unterricht gemacht mit Filmen, Schallplatten, Tonbandaufnahmen, dass uns Schülern niemals langweilig war.

 

Traditionelles Thema für Schulaufsätze: Kann man aus der Geschichte lernen?

Ja, man kann aus der Geschichte lernen. Wir Deutschen haben kollektiv aus unserer Geschichte gelernt, dass so etwas wie das Dritte Reich nie mehr passieren wird.

 

Sie haben ja nicht nur Fernsehen gemacht, sondern auch Bücher geschrieben. Wie viele?

So etwa 40 bis 50, genau weiß ich das nicht.

 

Haben Sie eigentlich alle Bücher selbst geschrieben, auf denen Ihr Name steht?

Ich habe zwar immer tüchtige Mitarbeiter und Co-Autoren gehabt, aber Sie können sicher sein: Wo Knopp drauf steht, ist Knopp drin.

 

Ihr geschätzt fünfstelliges ZDF-Gehalt war dann wohl mehr ein Taschengeld bei den üppigen Buch-Honoraren?

Nein, so war es nicht. Aber Sie müssen sich um mein Wohlergehen keine Sorgen machen.

 

Also ist Ihr Haus in Mainz abbezahlt?

Ja, aber erst seit gut einem Jahr; das Ferienhaus in Florida auch.

 

Vor zehn Jahren hatten Sie noch dunkle Haare, jetzt sind Sie weiß. Natur oder Chemie?

Alles echt. Ich bin in Ehren für das ZDF ergraut.

 

Müssen Sie sich am Ende Ihrer TV-Karriere bei irgendjemandem entschuldigen?

Nein, da fällt mir niemand ein.

 

Bekommen Sie eigentlich Liebesbriefe von Zuschauerinnen?

Ja, das kam gelegentlich mal vor.

 

Was antworten Sie?

Liebesbriefe werfe ich in den Papierkorb. Ich bin ja glücklich verheiratet. Unangenehmer waren Drohanrufe von Neonazis.

 

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe meine Rufnummer aus dem Telefonbuch löschen lassen.

 

Gibt es einen Nachfolger für Sie als ZDF-Chefhistoriker?

Das ZDF wird eine weise Entscheidung fällen. Wer die Bezeichnung "Chefhistoriker" erfunden hat, das weiß ich nicht. Ich war es nicht."

 

 © Guido Knopp, 2022

 

 

Bildnachweis:

dpa Bildfunk/ Fredrik von Erichsen

ZDF/ Jaqueline Krause-Burberg, Carmen Sauerbrei, Kerstin Bänsch, Stefan Falke