Interview für das Online-Magazin "Histo-Couch", Juni 2012 

Das vollständige Interview für das Online-Magazin "Histo-Couch", Web-Portal für historische Belletristik, lesen Sie hier: http://www.histo-couch.de/interview-mit-guido-knopp.html

"Ein Roman darf alles" 

"Die Histo-Couch im Interview mit Prof. Dr. Guido Knopp über historische Romane, seine Sendungen und seine Zukunftspläne. Chefredakteur Carsten Jaehner war an einem lauen Juni-Nachmittag in Mainz im ZDF zu Gast bei Prof. Dr. Guido Knopp, Leiter der Redaktion "Zeitgeschichte" des Senders, undmachte mit ihm ein Interview. Guido Knopp liest gerne historische Romane und tat dies bereits als Jugendlicher, als er sich, in einer Zeit ohne Fernseherund Computer, aus dem gut sortierten Bücherschrank seiner Eltern bedient hat.



Histo-Couch: Herr Knopp, vielen Dank, dass Sie sich für ein Interview mit der Histo-Couch zur Verfügung stellen!

Guido Knopp: Sehr gerne!

 

Histo-Couch: Die Histo-Couch wird in diesem Jahr fünf Jahre alt! Inzwischen haben wir eine Datenbank mit über 4000 Romanen, und wir gehen auch auf die 1000 Autoren zu. Es wird immer mehr, man wird wahrscheinlich nie fertig damit. Was denken Sie, warum historische Romane so beliebt sind?

Guido Knopp: Historische Romane sind wohl unter anderem auch deshalb so beliebt, weil sie ihre Leser tief in den Zeitgeist einer Zeit hinein führen, der ihnen verschlossen bleibt, wenn sie ihn nur durch trockene Sachliteratur zu ergründen versuchen. Wie Menschen fühlten, wie Menschen dachten, auch, wenn es sich um fiktionale Geschichten handelt, das ist durch den historischen Roman wunderbar vermittelbar, denke ich. Am überzeugendsten sind historische Romane meines Erachtens dann, wenn die fiktionale Geschichte einen realen, authentischen, historischen Hintergrund hat. Und wenn es den Autoren gelingt, eine überzeugende, spannende, auch emotional bewegende fiktionale Geschichte vor realem Hintergrund zu erzählen, das macht, glaube ich, den Reiz, den Charme und auch den Erfolg eines historischen Romans aus.

 

Histo-Couch: "Die Säulen der Erde" von Ken Follett ist bei der ZDF-Sendung "Das große Lesen" im Jahr 2004 auf Platz 3 gewählt worden, nach "Der Herr der Ringe" und der "Bibel" und wird von vielen als "die Mutter aller historischer Romane" bezeichnet. Zurecht? Haben Sie es gelesen?

Guido Knopp: Ich habe es gelesen, schon vor einer ganzen Reihe von Jahren. Nun ja, "die Mutter der historischen Romane", das gilt vielleicht für die jetzige, heutige Lesergeneration. Ich bin ja nun schon ein bisschen älter und habe schon einige andere Lesegenerationen "absolviert". Das würde ich also nicht so unterschreiben wollen. Es gibt doch eine ganze Reihe historischer Romane aus früheren Epochen, die mindestens gleichwertig sind. Nehmen Sie mal aus dem 19. Jahrhundert Leo Tolstois "Krieg und Frieden", das ist ja ein klassisches Beispiel für einen historischen Roman. Wenn es "die Mutter der historischen Romane" gibt, dann würde ich am ehesten zum Beispiel Leo Tolstois "Krieg und Frieden" ansehen. Aber cum grano salis, für die jetzige, heutige, nicht länger als zwanzig Jahre zurückdenkende Lesergeneration mag das stimmen.

 

Histo-Couch: Die Definition "historischer Roman" ist nicht eindeutig festgelegt. Man fängt in der Steinzeit an, aber es ist nicht klar, bis wohin man das zählen will. Wir gehen auf der Histo-Couch bis zu den Weltkriegen, andere meinen, dass historische Romane nur welche sein dürfen, deren Autoren die Zeit, über die sie schreiben, nicht mehr selbst erlebt haben dürfen. Ist das sehr streng gefasst oder wie denken Sie darüber?

Guido Knopp: Ich finde, es ist eigentlich zu streng gefasst. Ich meine, dass es auch wirklich gute historische Romane gibt, die in der Zeitgeschichte spielen. Wenn ich den eben erwähnten Ken Follett mal benennen darf, so ist das letzte Buch, das er geschrieben hat, "Sturz der Titanen", ein wahrhaft zeitgeschichtliches Buch, weil es ja die Zeit zwischen 1914 und 1945 behandelt. Ich habe das Buch gelesen, fand es vorzüglich und freue mich auf die Fortsetzungsbücher. Es ist, wie ich finde, eine nahezu geniale Art, um die Jahre zwischen 1914 und 1945 mal als eine Einheit zu sehen, was wir jetzt gerade momentan mit einer Fernsehserie tun. Ich produziere eine Fernsehserie mit dem Arbeitstitel "Der Dreißigjährige Krieg des 20. Jahrhunderts", der eben diese Jahre 1914 bis 1945 mal als eine Einheit empfindet. Und das war es ja, denn je mehr Jahre vergehen seit dieser Ära, desto mehr zeigt sich ja doch, dass es ein großer Krieg gewesen ist, der Dreißigjährige Krieg des 20. Jahrhunderts. Ein Weltbürgerkrieg, wenn Sie so wollen. Insofern ist diese zeitgeschichtliche Phase, denke ich, voll berechtigt. Wenn ich andere Romane mal anschaue aus dem Ersten Weltkrieg, Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" ist auch ein historischer Roman. Oder nehmen wir aus dem Zweiten Weltkrieg einen sehr populären Roman von Hans Hellmut Kirst: "08/15", das hat mir als Acht-, Neunjährigem, als der ich es aus der Bibliothek meiner Eltern stibitzt habe, so viel an Vorstellungskraft über die Empfindungen, Gefühle, von einfachen Landsern auf deutscher Seite in diesem Zweiten Weltkrieg gegeben, dass ich davon profitiert habe.

 

Histo-Couch: Sie beschäftigen sich ja auch in  Ihren Fernsehsendungen sehr viel mit Zeitgeschichte, hauptsächlich mit dem Dritten Reich und dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Aber es gibt nicht sehr viele historische Romane über diese Zeit, verglichen mit anderen Epochen. Woran mag das liegen?

Guido Knopp: Es mag daran liegen, dass diese Phase ja eher eine düstere Phase der Geschichte ist, dass es ja sehr harte, schmerzliche Erfahrungen sind, die da von den Menschen erlebt wurden. Es ist eher ein Stoff, der in den Bereich der Erlebnisberichte gehört. Das sind dann oft auch Memoiren oder Sachbücher im Erlebnisstil. Die fiktionale Form des ausgeschmückten Romans verbietet sich dabei, wenn ich Themen wie Holocaust oder auch Flucht und Vertreibung bedenke. Es gibt aber auch Gegenbeispiele, sogar Romane oder Essaybücher über das schlimmste Kapitel des 20. Jahrhunderts, Auschwitz. Doch was fehlt, ist natürlich der eine große Roman über den Zweiten Weltkrieg. Vielleicht wird Ken Follett jetzt mit dem dritten Teil seiner großen Trilogie das Gegenbeispiel liefern. Warten wir es ab.

 

Histo-Couch: Es gibt noch weitere Roman-Epochen, die nicht so sehr bedient werden, wie Inkas/ Mayas, die alten Griechen oder die Geschichte Amerikas, jedenfalls nicht hier bei uns. Das Mittelalter und das 19. Jahrhundert sind sehr stark vertreten. Woran kann das liegen?

Guido Knopp: Ich denke vor allem, dass das unsere eigene Geschichte ist. Die Kirchen und andere Gebäude sind ja noch da aus dieser Zeit, es gibt Überlieferungen, bestimmte Familien lassen sich bis in diese Zeit zurückverfolgen. Das Mittelalter ist für breite Schichten der Bevölkerung ein großes Faszinosum, ein weißer Fleck im Bewusstsein. Wir haben das gemerkt bei unseren beiden großen Fernsehreihen über die Geschichte der Deutschen "Die Deutschen". Da waren die Sendungen über das Mittelalter mit die erfolgreichsten, in der Spitze bis zu 7 Millionen Zuschauer. Das rührt natürlich von der Frage, die gestellt wurde: Wer sind wir? Woher kommen wir? 
Und diese mittelalterlichen Themen behandeln und beantworten diese Fragen. Bei sachbezogenen Dokumentarfilmen haben Sie da natürlich immer einen fiktionalen Kern, denn Sie können ja nicht alles wissen und haben so einen gewissen Interpretationsspielraum. Für historische Romane gilt das allemal. Es ist natürlich wirklich jammerschade, dass es nicht DEN großen deutschen in die Welt  ausstrahlenden Autor über die grandiose Geschichte des deutschen Mittelalters gibt, aber vielleicht kommt er noch, oder es gibt ihn schon, nur wissen wir es noch nicht.

 

Histo-Couch: Haben Sie eine bevorzugte Epoche? Man könnte meinen, das wäre das 20. Jahrhundert? Warum ist das Ihr Schwerpunkt?

Guido Knopp: Nun ja, das hat einen ganz einfachen Grund: Ich bin hier im Hause dafür zuständig. Ich wurde zum Chef des Ressorts "Zeitgeschichte" des ZDF Mitte der 80er Jahre ernannt, und "Zeitgeschichte" ist ja die Geschichte der noch Lebenden, wobei der Anfang der Zeitgeschichte natürlich interpretationsfähig ist. Wenn man sagen würde, sie sei noch die Geschichte der noch Lebenden, dann würde sich ja der Beginn immer mehr dynamisch in die Jetztzeit hinweg verändern, woran ich natürlich kein Interesse habe. Denn mein Interesse ist natürlich, dass der Erste Weltkrieg zum
Beispiel zur Zeitgeschichte gehört, und diese Zuständigkeit liegt auch bei mir.  Und es ist ja in den letzen Jahren auch gelegentlich gelungen, dass wir gemeinsam mit unseren Kollegen der Kultur, die für frühere Jahrhunderte zuständig sind, zusammengearbeitet haben und gemeinsam die großen Epochen der deutschen Geschichte wie zum Beispiel bei den "Deutschen", die ja vom 10. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert reichen, behandelt haben. Also, es liegt daran, dass "Zeitgeschichte" mein professionelles Metier ist, für das ich zuständig bin, was nicht heißt, dass mich andere Epochen nicht interessieren.

 

Histo-Couch: Sie haben also keine Epoche, wo Sie sagen würden, dass Sie da besonders gerne Romane darüber lesen?

Guido Knopp: Die eine Epoche schließt die andere nicht aus. Es hängt von der Qualität des Stoffes ab. Ich erinnere mich beispielsweise, wenn ich in die eigene Biographie mal zurückschaue, dass ich sehr gerne von Annemarie Selinko (auch aus dem Bücherschrank meiner Eltern) den Roman "Désirée" gelesen habe, die Geschichte einer Seidenhändlerstochter aus Marseille, die später Königin von Schweden wurde, aber als junges Mädchen mal mit Napoleon liiert war. Oder wenn ich mal als anderes Beispiel nehme (auch aus dem Bücherschrank meiner Eltern, Sie sehen, wie hilfreich der gewesen war), das Buch des finnischen Autors Mika Waltari: "Sinuhe der Ägypter". Das hat mir sehr viel Einblick gegeben in die spannende Amarna-Epoche, diese revolutionäre Phase des Alten Ägypten aus dem 15. Jahrhundert vor Christus, als die alten Götter plötzlich zerschlagen wurden im wahrsten Sinne des Wortes, wo der Pharao sich Echnaton nannte und Nofretete seine Frau war, also mit die spannendste Phase der altägyptischen Geschichte. Es darf dabei nicht die einzige Lektüre über die
Zeit sein, wenn man sich dafür interessiert, aber die Kombination aus historischem Roman, aus wissenschaftlich fundiertem Sachbuch und dann möglicherweise auch aus einem guten wuchtigen Spielfilm, der aus einem guten historischen Roman entsteht, das macht dann die richtige Mischung aus. So ein Spielfilm entsteht ja interessanterweise nicht auf der Basis eines Sachbuchs, sondern meistens auf der Basis eines guten historischen Romans. Nehmen Sie mal T. H. Lawrence: "Die sieben Säulen der Weisheit", als Film: "Lawrence von Arabien". Oder "Doktor Schiwago" von Boris Pasternak, auch ein historischer Roman. Sie sehen, mein Interesse liegt eigentlich in keiner speziellen Epoche.

 

Histo-Couch: Für historische Romane ist auch die Recherche vor Ort sehr wichtig, wenn der Text authentisch werden soll. Forschen Sie für Ihre Sendungen auch vor Ort, und wie wichtig ist das?

Guido Knopp: Das ist ganz wichtig und unabdingbar. Früher, als ich noch selbst vor Ort war, habe ich das natürlich intensiv gemacht. Heute ist das so, dass man als "Chef" die Autoren selbstverständlich in die Archive und vor Ort entsendet. Also, ich lasse forschen, wenn Sie so wollen, anders geht es auch gar nicht. Aber Vor-Ort-Recherche ist unabdingbar, ob es nun "Location"-Recherche ist, klassische Film-Recherche oder ob das, wie in unserem Fall, Zeitzeugen-Recherche ist oder auch natürlich Archiv-Recherche, das gehört zum Handwerk. Das ist unabdingbar, das muss sein. Und immer wieder finden sich dann erstaunlicherweise Novitäten.

 

Histo-Couch: Es werden in historischen Romanen auch gerne mal Schlachten oder ähnliches zeitlich verlegt, damit sie besser in eine bestimmte Handlung passen. Ist das legitim, oder ist das eine unzulässige Verfremdung? Meistens weisen die Autoren in einem Nachwort auch darauf hin, dass sie es getan haben.

Guido Knopp: Da es ein Roman ist, ist das legitim. Der Roman darf alles. Aber bei einem Leser wie mir, der, wie am Anfang geschildert, gerne den authentischen Background hat und die fiktionale Geschichte dann sozusagen als Girlande, als Schneise durch den Dschungel empfindet, der ist dann schon ein wenig verstimmt, weil ich glaube, dass ein wirklich guter Autor das nicht nötig hat. Nehmen wir mal als Beispiel Robert Harris mit seiner "Cicero"-Trilogie, das sind erstklassige Bücher, oder auch in seinem „Pompeji“-Roman. Also, diese wirklichen Klasse-Autoren haben es doch nicht nötig, das reale Geschehen nach Gusto umzugestalten. Sie lassen es so, wie es ist, und sie erzählen die fiktionale Geschichte dann dazu.

 

Histo-Couch: Man findet auf der Histo-Couch  immer wieder bei bestimmten Büchern Kommentare von Jugendlichen, die das Buch wohl als Schullektüre gelesen haben, beispielsweise der Roman "In dreihundert Jahren vielleicht" von Tilman Röhrig, der über den Dreißigjährigen Krieg handelt, oder eben "Im Westen nichts Neues". Glauben Sie, dass historische Romane das Interesse von Schülern an Geschichte wecken können?

Guido Knopp: Ich glaube ja. Dem Geschichtsunterricht wird ja oft vorgeworfen, dass er trocken und spröde sei und im Auswendiglernen von  Geschichtszahlen kulminiere. Das wurde mir und meiner Generation oft erzählt. Ich habe da immer wieder drauf gesagt: Nein, bei mir war das nicht so. Ich hatte einen ganz tollen Geschichtslehrer Mitte der 60er, der es im Unterricht verstanden hat, schon damals Filme von Landesfilmbildstellen auszuleihen (das konnte man damals schon machen, nur kaum einer hat es gemacht), Tonbänder einzusetzen, im Unterricht Schallplatten einzusetzen – das waren ja die Vermittlungsmedien der damaligen Zeit -, und der uns damit ein so authentisches, nahes, direktes Geschichtsbild vermittelt hat, dass das immer die spannendste Stunde in der ganzen Woche gewesen ist. Gut, Historische Romane passen nicht in den Unterricht selbst, weil sie zu lang sind, aber für die Vorbereitungslektüre auf Geschichtsunterricht denke ich, ist das eine wunderbare Sache, um ein Thema wirklich zu erfassen. Aber welcher Schüler hat heute noch Zeit, neben seinen ganzen anderen Verpflichtungen auch noch als Vorbereitung auf den Unterricht einen historischen Roman zu lesen? Aus privatem Spaß, aus privater Freizeitlust denke ich "ja", da sind ja Ihre User die ideale Zielgruppe, da wird es der Fall sein. Wir haben zum Verband deutscher Geschichtslehrer eine wunderbare Beziehung. Wir arbeiten zusammen bei Reihen wie "Die Deutschen", aber das bezieht sich jetzt auf den Einsatz von Filmen im Unterricht, die natürlich in der knappen kurzen Form von 45 Minuten wie eine Unterrichtsstunde besser in den Unterricht passen als ein 800-Seiten-Wälzer. Wobei man um jeden Schüler froh sein soll, der aus eigenem Antrieb zum Roman im Allgemeinen und zum historischen Roman im Besonderen greift. Das kann ich nur begrüßen, und beglückwünschen.

 

Histo-Couch: Gibt es ein Thema, das Sie noch gerne behandeln würden, das aber aus irgendwelchen Gründen nicht klappt?

Guido Knopp: Ich habe in meiner Berufslaufbahn im ZDF bisher das große Glück gehabt, dass ich all das behandeln konnte, was ich behandeln wollte. Das ist ein großes Glück. Es gibt natürlich immer wieder Themen in der Zukunft, bei denen man sich vorstellen kann, dass das ein interessanter Stoff ist. Ich glaube, es wäre jetzt unklug, diese Themen zu nennen, denn die Konkurrenz liest ja möglicherweise mit. Ich sage mal so: Es gibt solche Themen, und Sie können sich drauf verlassen, dass ich einige davon in den nächsten Jahren, sei es noch als ZDF-Mann, sei es dann schon als außerhalb des ZDF stehender – ich bin ja in anderthalb Jahren sozusagen Pensionär des Hauses – auf jeden Fall noch realisieren werde.

 

Histo-Couch: Können Sie sich vorstellen, vielleicht selber mal einen historischen Roman zu schreiben?

Guido Knopp: Das kann ich mir vorstellen. Ich habe mit dem Gedanken nicht nur gespielt, sondern mich auch gelegentlich schon damit getragen, eigentlich sogar mit zwei Themen. Das eine, das schon länger rumort, ist das Thema "1989/90", diese spannende, schönste Phase der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Es war ja wirklich ein Wunder der Geschichte, dass es dazu gekommen ist, es hätte ja nicht dazu kommen müssen. Vieles war so angelegt, dass es auch anders hätte kommen können. Und wenn man das in einer fiktionalen Geschichte, möglicherweise einer deutsch-deutschen Familiengeschichte kombiniert, die durch alle Irrungen und Wirrungen führt und internationalen Background hat mit all den Dingen, die die Verhandlungen der Siegermächte für Deutschland bedeuten, die Revolution auf den Strassen der DDR, der Mauerfall, die Stasiaktenstürmung im Januar 1990 – all das in eine kraftvolle Romanform zu fassen, das ist eine große Herausforderung. Ebenso groß wie meine eigene Familiengeschichte. Sie hat schon einen Titel.

 

Histo-Couch: Wollen Sie ihn mir verraten?

Guido Knopp: "Meine Geschichte". Sie beginnt bei der Familie meines Vaters und hat viel mit Flucht und Vertreibung zu tun, trifft dann auf die Geschichte meiner Mutter in Westdeutschland, die aus einer Hugenottenfamilie stammt. Die Hugenotten sind ja 1683 aus Südfrankreich vertrieben worden und über die Schweiz und Württemberg nach Hessen gekommen. Hessen war entvölkert durch den Dreißigjährigen Krieg und der Landgraf war heilfroh, dass er gute Leute ansiedeln konnte und denen Land gegeben hat. Da gab es eigene Hugenottendörfer, die sich zweihundert Jahre lang als französische Dörfer fortentwickelt haben. Und die Deutschen haben sich dann dort auch teilweise französisiert, um anerkannt zu werden, eine hochinteressante Geschichte. Diese Dörfer sind dann erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich germanisiert worden, die französische Sprache wurde dann zurückgedrängt. Meine Großmutter wurde noch auf den Namen "Susette" getauft, da sieht man, wie sich das Hugenottendenken fortentwickelt hatte. Lange Rede, kurzer Sinn: Eine solche Familiengeschichte ist ein großer Reiz, aber sie kostet auch Zeit.

 

Histo-Couch: Wenn Sie die Möglichkeit einer Zeitreise hätten und zu einem beliebigen historischen Ereignis Ihrer Wahl reisen könnten, um direkt dabei zu sein, was wäre das?

Guido Knopp: Ach, da gäbe es eine ganze Reihe. Aber wenn ich mal in sehr frühe Jahrhunderte gehen darf, dann wäre es beispielsweise das 10. Jahrhundert nach Christus, das Jahr 955, die Schlacht auf dem Lechfeld. Die Ungarn werden von einem vereinten Heer des fränkisch-deutschen Reiches unter Otto I. zurückgeschlagen. Das ist deswegen für mich interessant, denn meine Frau ist gebürtige Ungarin. In der deutschen populären und auch wissenschaftlichen Literatur sind Züge der Ungarn nach Westen immer als Raubzüge, als Züge von marodierenden Heeren, brandschatzenden und mordenden Horden aus den Steppen des Ostens beschrieben worden. Das war so der "klassische" Weg. Die sind dann von einem deutschen Ritterheer auf dem Lechfeld zurückgeschlagen worden, und auf dem Lechfeld habe sich zum ersten Mal so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl der Stämme herausgebildet, der Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben, die zusammengeführt wurden von Otto, um den Feind zurückzuschlagen. Zum ersten Mal entstand so ein deutsches Gemeinschaftsgefühl. In der ungarischen Schulliteratur liest sich das ganz anders. Da waren das eigentlich fast noch friedliche Erkundungsritte von einigen Spähern nach Westen, zum zu kucken, ob von da Gefahr droht für das eigene Territorium. Das wird da also eher etwas verharmlost geschildert. Bei uns schaute man auf die  "Feinde aus dem Osten", das ist ja immer ein Topos, der sich ja immer weiter fortgesetzt hat, auf die Mongolen bezogen, auf die Kosaken, bis hin auf den Sturm der Stalin-Truppen 1945, und es war ja mitunter auch nie ganz falsch. Jedenfalls prallen da zwei Geschichtsbilder aufeinander. Und das war die erste Folge in der Reihe "Die Deutschen", die wir im ZDF hatten. Sie können sich vorstellen, dass ich da unter intensiver familiärer Beobachtung stand bei der Beantwortung der Fragen: Wie bearbeitest du das denn? Wie behandelst du das jetzt? Ich habe versucht, das salomonisch zu machen, beide Geschichtsbilder zu integrieren. Ob uns das gelungen ist, weiß ich nicht. Die deutschen schriftlichen Quellen sind sehr spärlich, und ungarische schriftliche Quellen gibt es überhaupt nicht. Die ersten ungarischen schriftlichen Quellen gibt es erst sehr viel später, Generationen später. Man ist bei der Behandlung der Frage, was die Ungarn betrifft, auf archäologische Artefakte und Überreste angewiesen, Waffen, Zaumzeuge und solche Dinge, die natürlich nicht wirklich helfen bei der Beantwortung der Frage. Also, da dabei gewesen zu sein und das mal wirklich selbst beurteilen zu können, das wäre natürlich eine schöne Herausforderung – aber ich sag mal: mit den medizinischen Möglichkeiten von heute, nicht mit denen von damals (lacht).

 

Histo-Couch: Haben Sie einen historischen Lieblingsroman? Oder einen Autor?

Guido Knopp: Einen historischen Lieblingsroman möchte ich jetzt eigentlich gar nicht sagen. Also, ich finde Ken Follett toll, den lese ich sehr gerne, und da muss man sich auch wirklich selber am Zaumzeug halten, um gelegentlich mal innezuhalten und aufzuhören. Ich mochte auch die erwähnten Bücher von Mika Waltari und Annemarie Selinko. Auch natürlich von Remarque, nicht nur "Im Westen nichts Neues", er hat ja auch noch ein paar weitere historische Romane geschrieben. "Arc de Triomphe" zum Beispiel, ein wunderbares Buch. Das sind Bücher, die ich gerne mochte, und da es Bücher sind aus meiner Kindheit, aus dem bereits erwähnten Bücherschrank meiner Eltern, da bleiben die besonders im Gedächtnis.

 

Histo-Couch: Vielen Dank für das Interview.

Guido Knopp: Alles Gute für die Histo-Couch und Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich wünsche Ihnen viele User, viele Leser und dass Ihr Anliegen auch wirklich verbreitet wird."

 © Guido Knopp, 2022

 

 

Bildnachweis:

dpa Bildfunk/ Fredrik von Erichsen

ZDF/ Jaqueline Krause-Burberg, Carmen Sauerbrei, Kerstin Bänsch, Stefan Falke