Interview im Playboy, Dezember 2008

Das Interview ist im Dezember 2008 im Playboy erschienen

„Wir müssten eigentlich auf der Straße tanzen“

von Anne Lehwald & Christian Thiele

"Guido Knopp ist der oberste Geschichtslehrer der Nation. In seiner neuen TV-Reihe bringt er den Deutschen in diesen Wochen bei, wer sie sind und woher sie kommen. Ein Gespräch über die Schönheit von Claudia Schiffer, das Frühstück von Bismarck – und warum man stolz darauf sein darf, ein Deutscher zu sein.

Playboy: Herr Knopp, wann hatten Sie das letzte Mal Heimweh nach Deutschland?


Knopp: Immer wenn ich längere Zeit im Ausland war. Tatar mit ner Gurke drauf – in Florida, wo ich oft und gern bin, bekommt man das genauso wenig wie in Shanghai. Heimweh hat bei mir viel mit Geschmack zu tun.

Playboy: Wie schmeckt Deutschland?


Knopp: Wir sind ein Land der Stämme – es gibt nicht diesen einen Geruch, diesen einen Geschmack. In München ist das der Leberkäs, im Rheinland ist das der Sauerbraten, und in Hamburg gehe ich gern in den Fischereihafen. Aber ehrlich gesagt: Einen guten Japaner finden Sie Gott sei Dank überall.


Playboy: Sind Sie einer, der während der EM mit Deutschland-Fahne am Auto herumfährt?


Knopp: Nein, das nicht. Aber ich habe vor meinem Haus einen Fahnenmast.


Playboy: Und da wird Schwarz-Rot-Gold geflaggt?


Knopp: Natürlich, aber nicht nur. Wenn meine Schwiegereltern aus Ungarn zu Besuch kommen, dann hissen wir auch Grün-Weiß-Rot, und wenn in München Oktoberfest ist, hisse ich als alter Bayer Weiß- Blau. In der Regel hängt Schwarz-Rot-Gold, und das ist auch ganz praktisch.


Playboy: Inwiefern praktisch?


Knopp: Wir wohnen in einer Gegend, in der häufig eingebrochen wird. Nur in unserem Haus noch nie. Ich hege den Verdacht, dass das daran liegt, dass in unserem Garten die Fahne hängt, da denken die Leute: Vielleicht ist das irgendetwas Offizielles.


Playboy: Was muss der Ausländer auf Deutschland-Besuch unbedingt gesehen haben? Wo ist Deutschland am deutschesten?


Knopp: Wo er hinfährt, ist ja klar: Rothenburg ob der Tauber, Neuschwanstein, Heidelberg. Das sind auch nicht die schlechtesten Orte.


Playboy: Hätten Sie noch weiter oben auf der Landkarte etwas auf Lager – wir müssen auch an unsere Leser in Norddeutschland denken. 

Knopp: Churchill hatte schon Recht, als er auf der Konferenz von Teheran 1943 zu Roosevelt und Stalin sagte: „Teilt Deutschland nicht in Ost und West, das wird nicht halten. Die Mentalitätsgrenze läuft entlang der Main-Linie.“ Im Norden, also die bösen Preußen, die hätteman ganz hart behandeln müssen. Und die im Süden, zu denen kann man ja etwas netter sein . . .


Playboy: Wer ist für Sie der beste deutsche Torhüter?


Knopp: Sepp Maier. Einen Tick vor Olli Kahn. Aber das mag an meinem Alter liegen.

Playboy: Das beste deutsche Auto?


Knopp: Der Porsche Carrera.


Playboy: Haben Sie einen?


Knopp: Ich passe da nicht rein – zu groß.


Playboy: Die schönste Deutsche aller Zeiten?


Knopp: Meine Frau ist Ungarin, insofern kann ich sie hier nicht einreihen. Wir haben da diesen innerfamiliären Disput: Wer ist das schönste Model? Meine Mädels finden: Cindy Crawford. Ich finde: Claudia Schiffer. Dann sagen meine Mädels immer: Schau ihr doch mal ins Gesicht.

Playboy: Wohin auch sonst?
 

Knopp: Genau! Ich sage also immer: Das tue ich doch. Insofern ist meine Wahl klar: Claudia.


Playboy: Der schönste deutsche Dialekt?


Knopp: Für mich der pfälzische . . .


Playboy: . . . der Dialekt Helmut Kohls?


Knopp: Genau, sehr unpopulär, aber ich mag dieses Weiche, dieses Singende. In Speyer, bei denen liegen ja die ganzen toten Kaiser im Dom, gibt es diesen Spruch: „Wenn mir Speyerer die dode Kaiser ned hädde, gäb’s bei uns gar kei Lebe . . .“


Playboy: Der beste Witz über Deutsche?


Knopp: Auf Kommando bin ich als Witzeerzähler schlecht. Ganz dunkel leuchtet da etwas von wegen: „Ein Deutscher, ein Franzose und ein Italiener stehen vor dem lieben Gott . . .“ Aber dann fehlt mir die Pointe.


Playboy: Wenn Sie Deutschland neu erfinden könnten – was würden Sie ändern?


Knopp: Die Überregulierung, das Überpenible, das würde ich abschaffen. Was uns fehlt, ist ein bisschen Easy Going.


Playboy: Was nervt Ihre Frau als Ungarin an typisch Deutschem? 

Knopp: Ungeduld, sagt sie immer, die müsse ich mir abschminken. Aber ich bin jetzt 60, da will ich mir nichts mehr abschminken. Und ist Ungeduld typisch deutsch? Ist Fleiß typisch deutsch? Ordnung? Wenn ich durch meine Redaktion gehe, herrscht da manchmal bei den genialsten Köpfen das größte Chaos.


Playboy: Was ist das größte Geschenk, das Deutschland der Welt gemacht hat?


Knopp: Da wäre der Buchdruck mein Favorit. Was noch? Die Entdeckung des Tuberkuloseerregers, das Auto, der Motor – nein, ich glaube, der Buchdruck toppt alles!

Playboy: Ist die jetzige Zeit die sonnigste Epoche der deutschen Geschichte?


Knopp: Ja. Denn die Wiedervereinigung war ja der Endpunkt einer schrecklichen Geschichte, des Kalten Krieges, in dem uns der nukleare Overkill drohte. Das überwunden zu haben, das ist eine Gnade, das hat schon etwas Transzendentales. Insofern: Wir sollten eigentlich auf der Straße tanzen am 3. Oktober. Wir wissen alle, warum wir es nicht tun – aber der 14. Juli in Frankreich hat auch ein paar Jahrzehnte gebraucht, bis er ein wirkliches Volksfest geworden ist.

Playboy: Wie lange brauchen wir noch, bis wir das hinbekommen?

Knopp: Die jüngere Generation – ich sehe das an meinem Sohn, der ist 14 – hat viel weniger Probleme als wir, mit unserer Zerknirschung, unserem Sündenstolz. Für die ist es ganz selbstverständlich, beim Länderspiel die dritte Strophe der Nationalhymne zu singen.


Playboy: Darf man heute stolz darauf sein, Deutscher zu sein?

Knopp: Ja, es gibt genügend Gründe, deretwegen man stolz sein darf. Weil wir es geschafft haben, nach 1945 vom Nullpunkt ein zerstörtes Land – äußerlich wie innerlich – wieder aufzubauen, trotz aller Dinge, die man kritisieren darf. Zum ersten Mal in 1000 Jahren deutscher Geschichte haben wir zur gleichen Zeit Einheit, Freiheit und Frieden – mindestens eines hatte vorher immer gefehlt.
 

Playboy: In Ihrer neuen Serie zeigen Sie 1000 Jahre deutscher Geschichte, in zehn Folgen. Was können wir lernen von Otto dem Großen?
 

Knopp: Alles! Dieselben Probleme, die der mit seinen Herzögen hatte, hat Angela Merkel heute mit den Ministerpräsidenten. Nur dass es da nicht um Mord und Totschlag geht, sondern um Geld.
 

Playboy: Was ist Ihre liebste Szene in dieser Riesenserie?
 

Knopp: In der ersten Folge die Schlacht auf dem Lechfeld, als die deutschen Stämme erstmals vereint gegen einen Feind von außen kämpften, die Ungarn. Die Geschichtsbücher meiner Frau stellen das etwas anders dar. Bei uns ist die Rede von marodierenden Banden, die uns bedrohten – in Ungarn ist da mehr von Erkundungsritten die Rede. Diese beiden Bilder zusammenzubringen, das ist eine innerfamiliäre Mission.


Playboy: Wenn Sie eine Zeitmaschine hätten, welchen Gang würden Sie einlegen – vorwärts oder rückwärts?


Knopp: In die Zukunft natürlich, die finde ich viel spannender. 

Playboy: Die Vergangenheit kennen Sie ja auch schon . . .
 

Knopp: . . . genau, und wenn, dann würde ich das nur tun wollen mit den medizinischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Allein, wie man zu Zeiten des alten Bismarck gelebt und gegessen hat. Sein Frühstück mit zehn Gängen ist ja legendär. Und dann dachte man, es reicht, wenn man einmal im Jahr nach Bad Kissingen zur Kur fährt. Ähnlich werden die Leute in 60 oder 100 Jahren über uns denken. Vorausschauend sind die, die heute das Nabelschnurblut ihrer Kinder einfrieren, damit daraus später einmal neue Nieren gewonnen werden können. Wir sind die letzte Generation, bei der das nicht möglich war. Sie gehören auch dazu – so leid mir das tut.


Playboy: Herr Knopp, was ist das eigentlich – Geschichte?

Knopp: Ich zitiere jetzt Lessing: „Geschichte ist nichts, was das Gedächtnis belasten soll, sondern was den Verstand erleuchtet!“ 

Playboy: Und jetzt bitte noch mal auf Deutsch.
 

Knopp: Das ist doch gutes Deutsch! Geschichte ist ungeheuer wichtig, nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Menschen einer Stadt, einer Region: zu wissen, woher wir kommen, wer wir sind, wohin unser Weg führt. Dafür ist Geschichte da. Sie ist nicht nur für Golo Mann, sondern auch für Lieschen Müller.

Playboy: Genau das Lieschen-Müllerhafte wirf Ihnen die Historikerzunft ja gern vor . . .
 

Knopp: Mitleid kriegt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen. 

Playboy: Gibt es historische Bilder, die Sie nicht zeigen würden? 

Knopp: Ja. Es gibt zum Beispiel einen Film, nach dem wir fahnden, über die grausame Erhängung der Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944. Der muss in einem Moskauer Archiv sein, wir kennen sogar den Filmvorführer, der ihn dem „Führer“ in der Wolfsschanze vorgespielt hat. Wir wollen den haben – aber würden ihn niemals im Fernsehen zeigen.

Playboy: Warum nicht?
 

Knopp: Niemals! Das würde die Menschenwürde verletzen, die ist ja nicht im Grundgesetz abgelegt, die muss man leben!
 

Playboy: Dennoch haben Sie einst Mengele nachspielen lassen, wie er in weißen Handschuhen an der Rampe von Auschwitz steht und „selektiert“. Würden Sie das noch mal machen?
 

Knopp: So wie wir das damals aufgelöst haben, im Rahmen einer Dokumentation, hätten wir das aus heutiger Sicht künstlerisch besser machen müssen.
 

Playboy: Sie haben viel Zeit mit der Erforschung Adolf Hitlers verbracht. Gibt es etwas an ihm, das Sie mögen?
 

Knopp: Nein. Er ist für mich eine Ungestalt, ein Teufel, der sehr viel verdorben hat. Wenn ich allein an meine Großeltern denke, aus Ober- schlesien, die haben ihre Heimat wegen ihm verloren. Er hat den deutschen Namen so missbraucht, hat einen Krieg entfesselt, Millionen umgebracht – und dann seine eigene Lebenszeit an die Dauer dieses Krieges gekettet –, all das ist in hohem Maß verächtlich und feige.
 

Playboy: Ist er die wichtigste Figur der deutschen Geschichte?

Knopp: Nein. Er ist der größte Attentäter der deutschen Geschichte. Ohne ihn kein Zweiter Weltkrieg, ohne ihn kein Holocaust. Er, ein Österreicher, markiert den tiefsten Tiefpunkt unserer Geschichte! Aber wenn man sich zehn Jahrhunderte anschaut und einen herausgreift, dann war die wichtigste Figur Martin Luther: Er hat die Nation geeintund geteilt, mit der Bibelübersetzung die deutsche Sprache geformt – aber auch den Dreißigjährigen Krieg mit ausgelöst. Ein Revolutionär im positiven wie im negativen Sinn – so schwer mir das als Protestant zu sagen fällt.

Playboy: Sie haben 1968 in Frankfurt studiert. Sind Sie ein 68er? 

Knopp: Nein, ich war Absolvent eines strengen bayerischen Gymnasiums.


Playboy: Das waren ja oft die Schlimmsten.


Knopp: Nein, ich hatte eher eine ästhetische Distanz zu denen. 

Playboy: Sie meinen, die waren ihnen zu schlecht angezogen? 

Knopp: Auch das!


Playboy: Gab es denn für Sie keinen Moment der Befreiung, einen Moment des Durchlüftens, den Sie mit 1968 verbinden?
Knopp: Ich wohnte lange bei meinen Eltern, und irgendwann zog ich dann bei meinen Eltern aus, als ich in Würzburg studierte. Man nahm ja als junger Mensch Mädels mit aufs Zimmer.


Playboy: War das damals so?


Knopp: Das war so, ich bin Zeitzeuge! Und in meiner ersten Bude in einem Vorort von Würzburg wohnte die Vermieterin, eine ganz Rechtschaffene, mit im Haus. Als ich dann einmal eine Freundin mit aufs Zimmer nahm und mich am nächsten Morgen mit ihr aus dem Haus schlich, da hörte ich die Sprechanlage: „Glauben Sie nicht, dass ich nicht mitbekommen hätte, was hier heute Nacht passiert ist. Wir sprechen uns noch . . .“ Die Zeiten sind heute gottlob vorbei!

Geschichtserzähler

Unser kollektives Selbstbild – kaum einer prägt es so wie Guido Knopp. Der promovierte Historiker und Chef der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte erreicht mit seinem Geschichtsfernsehen regelmäßig ein Millionenpublikum, oft mit besserer Quote als „Tatort“ oder „Wetten, dass . . .?“ Seine Methode, historische Szenen mit Schauspielern nachdrehen zu lassen und sie mit dokumentarischem Material zusammenzuschneiden, wurde zunächst heftig kritisiert. Heute ist sie Standard. Seine zehnteilige Dokumentarreihe „Die Deutschen“ (jeweils sonntags 19.30 Uhr und dienstags 20.15 Uhr) ist gerade im ZDF angelaufen. Die Bücher zur Serie („Die Deutschen. Vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert“ und „Die Deutschen im 20. Jahrhundert“) sind bei C. Bertelsmann erschienen (jeweils 24,95 Euro). Knopp, gebürtiger Bayer und gelernter Pfälzer, ist 60 Jahre alt. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier Kindern."

 

 © Guido Knopp, 2022

 

 

Bildnachweis:

dpa Bildfunk/ Fredrik von Erichsen

ZDF/ Jaqueline Krause-Burberg, Carmen Sauerbrei, Kerstin Bänsch, Stefan Falke